Von Drahtbindern und Mausefallenhändlern

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Die Geschichte der slowakischen Drahtbinder

Ein Drahtbinder versteht es, einen zerbrochenen Krug allein mit Draht, Wasser, Mehl und manchmal etwas Pflaumenmuss zu reparieren. Mit Blech und Nieten kann er löchrige Töpfe flicken oder auch den ganzen Boden auswechseln, wenn dieser von vielen Stunden auf dem Ofen durchgescheuert ist. Er kann aus Draht Küchengeräte fertigen: Topfuntersetzer, Kuchengitter, Schöpfkellen, Schneebesen, Hacken, Körbe und vieles mehr. Für die Kinder baut er Spielzeuge und für die Erwachsenen allerlei schönes und nützliches, wie Vogelkäfige und Schmuckkästchen. Sein größtes Geschäft jedoch macht er mit Mausefallen: den klassischen Schnappfallen, aber auch Lebendfallen in vielen verschiedenen und raffinierten Ausführungen.

Es heißt, dass die Drahtbinderei bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts auf dem Gebiet der heutigen Westslowakei, genau genommen dem geographischen Dreieck zwischen den Städten Bytca, Žilina und Cadca, entstanden ist. Die dort ansässigen Bauern lebten damals unter der Knechtschaft ungarischer Feudalherren, die in der gebirgigen Landschaft Schutz vor den Türken suchten. Aber die Böden des landwirtschaftlich weitgehend unerschlossenen Berglands warfen nur geringe Erträge ab. Die Ernte reichte kaum aus, um die geforderten Abgaben zu zahlen, geschweige denn, eine Familie zu ernähren. So erfanden findige Burschen aus der Not ein Handwerk, das Menschen allerorts nützlich sein konnte. Mit einfachsten Mitteln, nur einem bisschen Draht, einer Zange, vielleicht einem Hammer und ein paar Nieten, wollten sie sich auf Wanderschaft machen, um mit Reparaturarbeiten ein wenig Geld dazu zu verdienen. Wenn die Arbeit auf dem Feld erledigt war, die Saat ausgebracht oder die Ernte eingefahren, so dass die Frauen alleine damit zurechtkommen konnten, machten sich die Männer auf die Reise.

Zuerst zog es die Drahtbinder nur in die benachbarten Dörfer. Sie liefen durch die Straßen und priesen ihre Arbeit an. Alles was sich mit Draht und später auch Blech reparieren ließ, sollten die Hausfrauen ihnen bringen. Einen zerbrochenen Krug klebten sie mit einer Mischung aus Wasser und Mehl und umflochten ihn anschließend mit einem fest gespannten Drahtgeflecht, so dass er wieder ganz war und keinen Tropfen Wasser verlor. Einen löchrigen Blechtopf flickten sie mit einer Niete und wenn ein Hof von Mäusen geplagt wurde, ersannen sie schnell ein paar Mausefallen.

Das Flechten mit dem Draht hat den Drahtbindern ihren Namen gegeben: „Drotar“ – von „drot“, slawisch dem Draht. Bald erkannten viele Bauern die Chance, die sich ihnen durch den Zusatzverdienst bot. Sie lernten das Handwerk und gingen auf Wanderschaft. In kürzester Zeit gab es viele hundert von ihnen, so dass sie immer weiter reisen mussten, um ausreichend Arbeit zu finden. In der Blütezeit des Handwerks, im 19. Jahrhundert, bereisten sie ganz Europa, aber auch Amerika und nördliche Teile Afrikas. Sie trugen das Handwerk in die Welt, fanden viele Nachahmer und bekamen viele Namen. Allein im deutschsprachigen Raum entwickelten sich über 30 Bezeichnungen für ihren Beruf. Sie waren Kesselflicker, Rastelbinder, Pfannenflicker, Topfdrahter, Klemperer, Slawonier, Schlawaken, Schlawiner.

Deutschland bzw. seine Kleinstaaten waren schon seit den Anfängen der Drahtbinderei ein wichtiges Ziel der Drahtbinder. Es war nicht weit weg und bot einen großen und kaufkräftigen Markt. Außerdem war es Ausgangspunkt für die Meister, die per Schiff nach Übersee wollten. Da ihre äußere Erscheinung den ärmsten Leuten glich, verwechselte man sie oft mit Zigeunern, die sich in Deutschland als Wagner ihren Lebensunterhalt verdienten.

Die Geschichte der Drahtbinder lässt sich in drei Phasen unterteilen. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Drahtbinder individuelle Handwerker. Sie führten Ihre Reparaturen zunächst allein, später oft gemeinsam mit einem Lehrling durch. Sie verkauften nur eigene Produkte oder Gegenstände, die sie direkt vor Ort herstellten. Anfang des letzten Jahrhunderts gründeten viele von ihnen kleine Werkstätten, in denen sie ihre Waren herstellten und von Hausierern vertreiben ließen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden schließlich große Manufakturen und Fabriken gegründet, die nun für einen großen Markt produzierten. Einzelne wandernde Handwerker gab es immer weniger, bis mit dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs das Handwerk in seiner ursprünglichen Form langsam in Vergessenheit geriet. Die letzten wandernden Drahtbinder legten um 1950 ihre Arbeit nieder und suchten Anstellungen in Handwerksbetrieben und Fabriken.

Im Waagtalmuseum, das im Schloss Budatin in Žilina untergebracht ist, wird seit einigen Jahren die Geschichte der Drahtbinder erforscht. In der Zeit des totalitären Sozialismus galten Hausierer, Gewerbetreibende und Unternehmer als Staatsfeinde, deshalb war bis zur Wende die Erforschung der Drahtbinderei nicht erwünscht. Ihre Geschichte sollte vergessen werden und die alten Meister sich für Ihr Vagabundenhandwerk schämen. Viele Exponate wurden in dieser Zeit zerstört und die letzten Handwerksmeister nahmen die Geschichten ihrer Wanderschaft mit ins Grab. Erst in den letzten Jahren wurden die Dörfer der Drahtbinder, die oft am Ende eines Trampelpfads durch den Wald liegen, von Mitarbeitern des Museums erschlossen und einige wertvolle Exponate gefunden und konserviert.

Heute lebt vielleicht noch ein Dutzend Drahtbinder, die noch vor dem zweiten Weltkrieg auf Wanderschaft waren. Sie sind zwischen 85 und 95 Jahre alt und üben das Handwerk nur noch für Ihren eigenen Bedarf aus. Parallel zum Handwerk der Drahtbinder entwickelte sich jedoch auch eine Kunstform, die in der Slowakei heute noch sehr geschätzt wird. So werden zum Beispiel Ostereier mit einem filigranen Netz aus Draht umhäkelt. Vor Hundert Jahren galt ein solches ausgeblasenes Ei als Meisterstück der Lehrlinge, heute ist es Symbol für eine erwachende Identität der Slowaken, die sich in der fast vergessenen Geschichte der Drahtbinder neu verankern wollen.